Der erste Teil meiner Reihe zum Thema "Tanzkurse, Tanzlehrer und Kurskonzepte" wurde in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung sehr viel geklickt. Das Thema ist für alle offensichtlich interessant. Das motiviert mich natürlich weiterzumachen. Hier folgt der nächste Teil!
Vielen Dank auch für die konstruktive Kritik!
Dieser Artikel gibt ein paar Erfahrungen und Beobachtungen wieder, die ich im Laufe der Jahre gemacht habe.
Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht und weiß auch, dass es ein sehr heikles, schwieriges und vor allem sensibles Thema ist, zumal man kaum von eindeutigen Aussagen ausgehen kann. Ich sehe eher Tendenzen und versuche, diese mal zusammenzufassen. Wenn jemand anderer Meinung ist, weil er/sie es anders wahrnimmt, dann bitte nicht persönlich nehmen. Jeder lernt und trainiert anderes! Auch kann man nicht objektiv ganz Deutschland und die Tanzkurse hier zusammenfassen und über einen Kamm scheren, bewerten oder vergleichen. Also, falls ihr Euch unangenehm angesprochen oder provoziert fühlt, bitte versteht, dass dies nicht meine Absicht ist! Teilt mir Eure Meinungen mit!
Viel Spaß beim Lesen des zweiten Artikels!
Tanzszenen in verschiedenen Ländern
Im Laufe der Jahre habe ich in Europa in mehreren Ländern, in denen ich regelmäßiger oder längere Zeit zum Tanzen war, Beobachtungen zu den regionalen Unterschieden bei Tanzkursen und der Art zu unterrichten, gemacht. Oft ist das Niveau beeindruckend hoch! Auch auf Kongressen weiß man natürlich um die Herkunft der großen Stars und weiß, dass in ihren Ländern hart trainiert wird.
Dabei fallen mir vor allem die südeuropäischen Länder mit hohem Kursniveau und vor allem anzahlmäßig einer hohen Bereitschaft der Tänzer auf, auch nach vielen Jahren noch Kurse zu belegen und sich persönlich zu verbessern.
Die südeuropäische Dominanz
Da ich vor allem Einblick in die Tanzszene der Costa Del Sol und dort vor allem in Malaga habe, kann ich diese große spanische Tanzszene mit der Szene bei uns in Nordeuropa etwas vergleichen. Auch in Mailand sowie in der Mitte Italiens habe ich meine Erfahrungen gesammelt. Beide Länder, Spanien und Italien, haben ein hohes Niveau der Tänzer und der Verdacht drängt sich auf, dass es da im Vergleich zu uns sowohl kulturelle Unterschiede gibt, als auch eine andere Art, Tanzkurse wahrzunehmen.
Bersy Cortez im Tanzkurz beim Fulda Salsaevent 2017
Der Norden Europas tanzt generell viel weniger
Eines fällt schnell auf: Bei uns wird der Tanz- und die Latinmusic von der Mehrheit der Menschen nicht so sehr gelebt, wie es im Süden der Fall ist. Dazu kommt, das Salsa und Bachata bei uns wirklich nie im Radio laufen und somit diese Art der Musik vielen gänzlich unbekannt ist.
Bei uns im Norden Europas gehört Tanzen nicht unbedingt zu dem, was man schon von Kindestagen an macht. Viele Menschen haben in ihrer ganzen Jugend gar nicht getanzt. Bei vielen männlichen Jugendlichen ist Tanzen sogar ausgesprochen verpönt.
Dementsprechend haben wir vergleichsweise kleine Szenen, von den großen Metropolen mal abgesehen. In Spanien und Italien sieht das ganz anders aus, aber dazu schreibe ich im folgenden Artikel.
Über Osteuropa kann ich übrigens nicht viel schreiben, da ich dort kaum Erfahrungen habe, aber mein Eindruck ist, dass im Osten Frauen und Männer viel an Können bereits mitbringen, und oft gute Tänzer sind.
Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa
- Die Ausgangslage der "Nichttänzer", die entscheiden, erstmalig einen Tanzkurs zu machen, ist in Südeuropa eine andere, als in Deutschland: Geht man in Spanien oder Italien in einen Tanzkurs, dann ist sowohl das schon vorhandene Können, die Körperbeherrschung, als auch die generelle Tanzfähigkeit von Anfang an oft höher. Selbst blutige Anfänger haben dort ein höheres Musikverständnis, haben oft schon vorher getanzt und bewegen sich schon gut zur Musik.
- In einer Anfängerstunde werden schnell Drehungen, Cross und Cross mit Drehung (Inside-Turn) abgehandelt und nach 2 Stunden geht es dann flott weiter. Das würde bei uns im Norden so nicht klappen. Oft muss man hier erst einmal die verschiedene Rhythmen erklären, Schritt- und Körperverlagerungs- und Gleichgewichtsübungen machen und dann nach ca. 2-4 Wochen kommen dann komplexere Dinge hinzu.
- Die klassischen Wochenendkurse in Deutschland (nach 6-8 Stunden ist man schon kein Anfänger mehr und nach 12 Stunden schon Fortgeschrittener), finde ich in Italien oder Spanien kaum. Kurse sind konzeptionell länger angelegt (siehe auch den ersten Artikel in dieser Reihe zum Thema "Tanzkurse"). Dafür gibt es im Süden eher noch zusätzlich mehr gratis-Schnupperkurse, wenn man abends früher in die Clubs geht.
- Tanzschulen werden im deutschsprachigen Raum von vielen Tänzern nur anfangs besucht, meist reichen den Leuten wenige Wochenenden und schon können sie tanzen ;-)
Gerade in der Provinz, ist das Angebot an regelmäßigen Kursen naturgemäß auch kleiner. Hier wird meiner Meinung nach eine sehr große Chance vertan! Woran liegt es? Oft sind die Kurse zu teuer, manchmal stellt sich bei den Anfängern auch nicht schnell genug ein Erfolg ein, so dass sie aufgeben. - Auf Kongressen ist es immer auch üblich, dass lokale Tanzgruppen auftreten. In Deutschland habe ich bei Kongressen schon einige Male gedacht, dass man zu sehr den Unterschied zu den Tänzern anderer Länder sieht: geringere Körperspannung, Körperhaltung nicht 100%ig unter Kontrolle und weniger ausgebildetes Styling, weniger Emotionalität und Sensualität im Tanz. Zum Glück ist dies nicht immer so.
Wobei man auch sagen muss, dass es natürlich auch unfair ist, lokale Gruppen, welche in ihrer Freizeit tanzen mit internationalen Vollprofis zu vergleichen, welche Wochenende für Wochenende bei Kongressen ihr Geld damit verdienen. Trotzdem fehlt mir manchmal bei uns das gewisse "Etwas" bzw. das letzte Quäntchen.
Zugegeben, wir sind auch keine Latinos und bauen dafür bessere Autos. ;-). Aber es wäre schön, wenn man den Abstand zu Südeuropa ein wenig verringern könnte. - Grundsätzlich sehe ich sogar einen Unterschied zwischen den südspanischen Tänzern und den italienischen, die vor allem aus Mailand, Rom und Bari kommen. Die Spanier gefallen mir in der Masse besser, da es mir natürlicher und weniger „gelernt“ aussieht, aber das ist meine persönliche Meinung. Wenn man dann Nachts in einen Club in Malaga geht, sieht man Frauen und Männer permanent beim Stylen. In Mailand habe ich das so ausgeprägt nicht erlebt.
Diese Beobachtung ist aber eher meine individuelle und ist durchaus diskutabel. Der in Rom lebende DJ Tronky hat mir dies aber neulich auch in einem Interview (ungefragt) bestätigt.
In Mailand findet man dafür die meisten Spitzentänzer konzentriert auf engem Raum, so wie in keiner anderen Stadt.
Aller Anfang ist schwer... und der Fortschritt auch!
Anfänger wie Fortgeschrittene haben immer etwas zu lernen!
Wer das leugnet, tritt zuerst auf der Stelle und wird sich dann zurück entwickeln!
Gute Lehrer wie Fadi oder Bersy, wirken dem in ihren Workshops entgegen.
Ursachenforsung - der Versuch einer Erklärung:
In Südeuropa wird generell viel mehr getanzt und die lokalen Tanz-Szenen sind einfach viel größer. Das hat offensichtlich einen Einfluss auf das Niveau!
In Malaga (Spanien) kenne ich die Szene sehr gut und habe dies dort auch gut beobachtet: Es gibt in den großen Clubs fast jeden Abend einen Auftritt. Das ist fest etabliert und gehört zum Besuch eines der großen Clubs dazu. Meistens sind es Auftritte der lokalen Tanzschulen, deren Lehrer oder Schülern oder der Animateure des Clubs. Natürlich sieht man auch immer wieder Tänzer aus dem Rest Europas sowie internationale Stars, die gebucht werden. So finden allein in einer spanischen Stadt mindestens 3-5 Auftritte pro Woche statt!
Dabei fällt mir auf, dass selbst junge Tanzcombos und selbst Präsentationen von einfachen Tanzschulen ein mehr als akzeptables Niveau haben.
Dies beflügelt alle Tänzer und natürlich auch deren Tanzlehrer. Es liegt eine gesunde Konkurrenz vor und dieser Druck bringt alle vorwärts.
Zeit für Anekdoten: :-)
Ich erinnere mich, als im Sommer 2015 Gigi Belluomo von Full Project entschieden hatte, ein halbes Jahr in Malaga zu leben und die Szene dort kennenzulernen. Er selbst war zu dem Zeitpunkt schon auf sehr vielen Kongressen als Lehrer gewesen, hatte den internationalen Titel in "Pasos Libros" gewonnen und verfügte über mehrere Showprogramme, die er bereits weltweit mit seinem Tanzpartner von Full Project präsentierte. Und nun saß er mit mir an einem Montag in einem kleinen Laden (dem Mana Playamar in Malaga), um die Show von Irena Draganova und Ale Bizcochito zu sehen.
Gigi vor dem Autritt
Die Show hatten Irena und Ale erst wenige Tage vorher einstudiert, um rasch Werbung für Irenas neue Schule zu machen. Beide Tänzer waren ihm unbekannt. Am Ende der Show war Gigi zuerst sprachlos. So etwas hatte er nicht erwartet. Zwei ihm komplett unbekannte Tänzer, die auf derart hohem Niveau tanzen. Er musste erst einmal schlucken, da er die lokale Tanzszene offensichtlich komplett falsch einschätzte. In Málaga gibt es eine sehr gute Szene mit sehr vielen Tänzern auf hohem Niveau, die gar nicht international bekannt sind.
Wer neugierig ist, kann die damalige Performance übrigens hier in meinem Kanal sehen: (Irena Draganova Todorova & Alejandro Gonzalez Dueñas - Show Mana Playamar 2015-08, Ansage von Carlos Camacho).
Fazit für uns Nordeuropäer:
Im deutschsprachigen Raum hat man vor allem abseits der großen Metropolen oft das Problem, dass es weniger Kurse gibt, die auf mehrere Jahre konzipiert sind. Dabei würden gerade diese Kurse kontinuierlich für guten Tanznachwuchs sorgen. Die Ursachen sind einerseits kleinere Szenen und auch, dass sich viele Leute gar nicht so lange an etwas binden möchten. Hier ist großes Engagement gefragt und auch die Bereitschaft weiter zu fahren, um bei guten Lehrer wich weiter fortzubilden.
Manchmal finde ich bei Tänzern eine Einstellung, dass man nun schon 4 Wochenendkurse gemacht hat und nicht versteht, warum es noch nicht so gut aussieht wie bei den anderen. Liebe Leute, man kann weder in einer Doppelstunde Bachata noch Salsa lernen. Allerdings sollte man als Tanzlehrer dann auch nicht versprechen, dass man nach 10 Doppelstunden Stunden tanzen kann! Ehrlichkeit ist auf beiden Seiten notwendig. Gerade als Tänzer, sollte man sich selbst gegenüber sehr ehrlich sein, denn es gibt immer noch viel zu verbessern!
Bei Demotivationen am Anfang sollte man sich auch fragen, wie viel Vorerfahrung man mitbringt, ist man schon taktsicher, hat man schon eine gute Gleichgewichts- und Körperkontrolle (z.B. weil ihr schon jahrelang Ballett oder in Clubs tanzt, gratis Workshops mitmacht, ein Leben lang Flamenco oder von mir aus Diskofox tanzt?).
Wenn das alles nicht der Fall ist, dann dauert es halt länger! Dann habt ihr erst einmal eine Menge aufzuholen und dazu kommen dann noch neue Figuren und neue Bewegungsabläufe! Da sollte man keine falschen Illusionen haben. Klavierlernen geht auch nicht in vier Wochen. Aber Kopf hoch! Es dauert einfach alles seine Zeit und man muss am Anfang in jeder Sportart lernen und etwas beißen!
In einem Karate-Verein würde sich auch niemand anmelden und dann nach vier Wochenendkursen von sich sagen, dass er schon Fortgeschritten ist und den schwarzen Gurt verlangt. Erst die mehrjährige Auseinandersetzung, mit Wettkämpfen und kontinuierlichem Training machen einen langsam zum Meister.
Auch die Einstellung, dass sowieso nur der Mann was lernen muss und Frauen sich ja sowieso nur führen lassen ist ein Hindernis dabei vorwärts zu kommen.
Eins noch zum Abschluss, Menschen im Süden leben oft mehr für ihre Musik, den Tanz und die daraus resultierende körperliche Erfahrung. Tanzen hat einen hohen Stellenwert. Diese positive Einstellung und das unverkrampfte Herangehen an neue Tänze ist super und erleichtert gerade am Anfang vieles.
Carlos Camacho hat als Motto für die Anfängerkurse in seiner Tanzschule: "Es ist nicht wichtig wie gut Du tanzt, sondern wie viel Spaß Du dabei hast". Ich denke, dass dies eine gute Basis für Anfänger ist, aber man sollte es nicht zum Motto seiner ganzen tänzerischen Karriere machen.
Also, viel Spaß bei Euren nächsten Tanzkursen oder Kongressen und Tanzfestivals!