Die kubanische Tänzerin Doris Martinez, welche vor allem in Spanien, Cuba und der Tschechischen Republik arbeitet und ich hatten im vergangenen Sommer einen netten Plausch bei Rum und Cola in einer Salsabar in Malaga. Doris tanzt seit Kindeszeit an und hat in Cuba eine klassische Ausbildung genossen. Sie kam nach Europa und blieb viele Jahre in Malaga, wo sie sehr viel aufbaute und somit eine der Gründerinnen einer der besten Salsaszenen Europas war. Dann ging sie nach fast 10 Jahren Aufenthalt in Malaga, schon vor der spanischen Wirtschaftskrise, weiter nach Tschechien, wo sie seit nunmehr 10 Jahren in Prag lebt und unterrichtet.
Durch ihre Erfahrung hat sie einen guten Blick auf die europäische Tanz- und Latinszene, worüber wir an diesem Abend sprachen. Das Gespräch nahm aber eine andere Wendung, als ich es am Anfang vermutete.
Wir sprachen an dem Abend über Musik, einflussreiche Musiker, Strömungen wie Bachata sensual, Kizomba und natürlich über kubanische Musik. Das Gespräch begann damit, dass sie wissen wollte, wer meine Lieblingsmusiker sind. Vielleicht auch, um abzuschätzen, wie gut ich mich auskenne und wo sie mich verorten kann.
Da sie kaum auf Kongressen in Deutschland zu sehen ist, kennt sie die Deutschland nicht so gut und fragte mich auch voller Interesse, wie in Deutschland so die Tanzszene sei und was ich hier gut finde und was nicht.
Als ich ihr sagte, dass es in Deutschland viele sehr unterschiedliche Latin-DJs gibt, die oft einen Hintergrund von Afrika bis Castrop-Rauxel haben, fragte sie mich, wie ich die Musik von DJs wahrnehme, die gar nicht Spanisch sprechen. Ich berichtete daraufhin davon, dass die DJs bei uns oft sehr "geplant" auflegen, also immer genau eine bestimmte Anzahl von Salsastücken, dann drei Bachata und einen Kizomba oder Merengue spielen, wenig Variationen im Tempo vorhanden sind und dass es auch immer noch DJs gibt, die Stücke ineinander blenden, so dass keine Lücken in der Musik entstehen. Manche DJs halten sich auch permanent an bestimmte Geschwindigkeitsvorgaben, z.B. 85 bpm, in dem sie die Musik schneller oder langsamer regeln.
Auf einmal wurde Doris sehr bestimmt und sogar etwas wütend: "Das ist typisch für Leute, die keinen Respekt, weder vor der Musik noch vor den Musikern haben. Die Musik ist dann nur noch Mittel zum Zweck und wird dem Tanz untergeordnet, dabei ist es doch dasselbe Gefühl!"
Das Gespräch wurde interessant, da ich den Eindruck bekam, dass sie mir etwas von der kubanischen Musikphilosophie mitgeben wollte. Doris weiter: "Wenn ein DJ so etwas tut, tötet er die Musik, weil er ihr die Seele nimmt und damit auch alles Weitere. Ein richtiger Tanz, mit Emotionen, Hingabe und "Sabor" ist dann nicht mehr möglich.
Der Musiker macht die Musik und der Tänzer versucht, es auf einer emotionalen Ebene nachzuvollziehen und durch Interpretation zu verstehen und zu erfahren."
Musiker denken sich in der Regel sehr viel zu ihrer Musik. Oft probieren sie wochenlang viele Variationen aus, bis das Stück in sich stimmig ist. Gerade wenn die Musik über Monate gereift ist und von einem Orchester komponiert wurde, dann haben sich die Musiker sehr genaue Gedanken zur Geschwindigkeit und deren Wirkung sowie dem Ende des Stückes gemacht.
"Verändert der DJ dies oder schneidet der DJ nun das Ende weg, dann fällt die emotionale Wirkung des Abschlusses komplett weg und auch die Tänzer können den Tanz nicht mit einer Abschlussfigur beenden. Vielen der guten Stücke hört man schon 16 Takte vor dem Ende an, dass sich das Ende nähert. Tänzer kennen das Stück sowieso in der Regel oder hören zumindest das sich das Ende nähert und bereiten die Abschlussfigur vor. Blendet man genau das Ende weg, so ist das wie ein Liebesfilm ohne Ende! Der Tanz ebbt dann so aus und irgendwann hören beide auf zu tanzen... Wie traurig und emotionslos!"
Abgesehen davon, klingt es vor allem bei Bachatas immer entsetzlich, wenn sie ineinander gemixt werden, die Disharmonien sind dort besonders hörbar und oft nur grausam.
Langsam verstand ich, warum sie so emotional wurde. Ich selbst finde das beim Tanzen auch viel besser, wenn ich das Ende tänzerisch interpretieren kann und dann am Ende mit dem Schlusstakt alles ein schönes Ende hat. Die Pause muss ja nicht groß sein, aber das Ende sollte hörbar sein!
Ich bemerkte dann, dass es natürlich einfacher ist, wenn der DJ spanisch versteht und die "Message" der Stücke mitbekommt. Sie stimmte zu und meinte daraufhin, dass sie in Prag gelernt hat, dass die DJs noch eine weitere wichtige Aufgabe haben, die in spanischsprachigen Ländern eher untergeordnet ist:
"Der DJ muss auch die Leute, die erst wenige Jahre tanzen mit der Kultur der lateinamerikanischen Musik vertraut machen. Es reicht nicht, nur irgendeinen Salsa zu spielen. Viel wichtiger ist es, dass die Leute auch lernen, von wem die Musik ist und wo die Musiker sonst noch gesungen oder gespielt haben. Dadurch entsteht Identifikation".
Klar, bei uns gibt es sehr viele Tänzer die weder die Namen der Musiker noch die der Künstler und Gruppen kennen. Kann das der DJ ändern?
"Sicher", so Doris. "Der DJ muss die neuen bekannten Titel mit den alten Klassikern mischen und die Leute auch darauf hinweisen. Mark Anthonys Erfolg wäre ohne den Einfluss von Hector Lavoe nicht denkbar gewesen, ohne Tito Puente hätte Eddie Torres nie das Podium für seinen Mambo gehabt und wenn Romeo Santos einen Bachata mit Juan Luis Guerra singt, dann sind das Momente, die für jemanden, der einen kompletten Kontinent an neuer Musik kennenlernt wichtige Identifikationspunkte.
Erst dann ist es auch möglich, dass sich die Leute auch mit der Musik beschäftigen, sich Lieblingsgruppen oder Lieblingsmusik aneignen und sich auch Stücke dann beim DJ wünschen können.
Es verbietet sich also für einen DJ nur unbekannte Musik oder Musik eines Genres zu spielen. Vielmehr sollte er sich gut auskennen. Nicht nur, dass er aktuelle Hits und auch die Stimmungsstücke des Sommers sowie die alten Klassiker kennt, auch sollte er den Musikern vertrauen, dass die Musik, so wie sie komponiert wurde auch gut ist und man sie nicht nachträglich verändert (außer bei spezieller "Disko"-Musik, wo Remixe gewünscht sind!).
Ein guter DJ sollte auch die Verbindungen der Tänze untereinander kennen: Wie hängen Rumba, Cuban, Son, Salsa, Salsa on2, Cha Cha, Bachata und Bolero zusammen?
Zum Schluss gab Doris mir noch einen Rat aus ihrer Heimat mit: Ein guter DJ sollte sein Publikum immer überraschen. Vor Spontanität und Unberechenbarkeit sollte er keine Angst haben. Denn was soll schon passieren? Ein neues Stück, vielleicht aus einem anderen Genre, vielleicht zu schnell oder zu langsam und viele verlassen die Tanzfläche... Na und? Die kommen auch beim nächsten Stück wieder! Eine Pause schadet niemandem!
Zu guter Letzt möchte ich noch was hinzufügen: Auch Eurem DJ sollte man hin und wieder etwas Respekt zeigen. All zu oft werden "seltsame" Forderungen an den heimischen DJ gestellt. Mit einer Aussage wie "spiel doch mal bessere Musik" kann niemand etwas anfangen! Wenn man sich Musik wünscht, dann bitte konkrete Titel und man sollte auch nicht enttäuscht sein, wenn die Wünsche nicht sofort umgesetzt werden, denn es muss ja auch in den Ablauf den Abends passen.
Und falls es jemandem mal nicht so gefällt, dann sollte man zuallererst mal die Füße stillhalten und die nächste Woche abwarten. Dann kann man immer noch den DJ ansprechen, wenn man sich sicher ist, dass er der Verantwortliche ist. Beschweren hinterrücks beim Inhaber sollte man sich nicht.
Zu Doris Martinez Hintergrund:
Doris wurde 1980 in Havanna, Kuba geboren. Sie war an mehreren renommierten Tanzschulen unter anderem der berühmtem „Akademie Carlos Marx“.
"Ich tanze seit meiner Kindheit und fühle es sofort, dass die positive Energie des Tanzes gut für meinen Körper und Seele ist. Ich bin Kubanerin und ich kann meine Wurzeln einfach nicht verleugnen. Kubanische traditionelle Tänze basieren auf den afrikanischen Tänzen - die ist die Musik alles! Es ist das Erbe meiner Vorfahren, die zum Zeitpunkt der Sklaverei nach Kuba deportiert wurden. Meine Faszination für afrikanischen Tanz und diese Musik habe ich im Blut. Wenn man mit der Seele tanzt, dann kommen Anmut und Koordination automatisch zur Bewegung, dem Rhythmus und der Musik.“