Dies ist der zweite Artikel, den ich über Djs geschrieben habe. Er ist sehr umfangreich, weil er das Maximale beschreibt, was ein wirklicher Top-DJ drauf hat. Seine Fähigkeiten und die Dinge, die er beachten muss, sind sehr umfangreich. Aber wer hat den gesagt, dass es ein einfacher Beruf ist? ;-)
Ist jeder, der Musik auflegt und eine gute Sammlung hat automatisch ein guter Latin-DJ? Sicher nicht. Zwar sind die Anforderungen, eine Party zu beschallen erst einmal nicht so hoch, aber wie in jedem Beruf gibt es da große Unterschiede bei Begabung, Hintergrundwissen und Können.
Ich kann mich an Partys aus den frühen 2000ern erinnern, wo wir einfach einen Sampler in den CD-Player gelegt haben und die Party lief. Das waren nicht die schlechtesten Partys! Zumal für uns als Anfänger alles irgendwie in die drei Kategorien Salsa, Bachata und Merengue passte. Mehr brauchten wir nicht zu wissen. Als junger Tänzer hatte man ja auch noch nicht soviel Hintergrundwissen.
Vorweg, die Anforderungen an einen guten Latin-DJ sind heute höher. Schauen wir doch mal genauer hin:
1. Neue und alte Musik kennen
Ein DJ sollte sowohl die alten Chart-Klassiker bis zu den Anfängen (ab ca. den 1950er Jahren bis heute) , als auch die Neuerscheinungen kennen. Dazu sollte er immer mal eine selten gespielte „Perle“ parat haben oder eine sonstige Überraschung präsentieren.
Latinmusic ist die Musik Nord- und Zentralamerikas, der Karibik und teilweise auch Südamerikas. Es gibt dort jede Menge Stars, sehr viele super Musiker bis hin zu lebenden Legenden, wöchentliche Neuerscheinungen und vor allem in jedem Land Charts.
Ich persönlich sehe in Deutschland vor allem großen Verbesserungsbedarf beim Thema „neue Musik“. Neue Latin-Chartmusik wird vielfach einfach zu selten und wenn, dann oft mit Monaten Verzögerung gespielt. Wenn beispielsweise Maluma, Ozuna, J Balvinn, La Maxima 79, Romeo Santos, Gente De Zona oder Marc Anthony ein neues Stück veröffentlichen, dann erwarte ich eigentlich, dass nach spätestens zwei Wochen ein DJ das mitbekommen hat und diese Stücke auch spielt. Es gibt im Schnitt alle drei Monate (meiste im Januar, April, Juli und Oktober) einen Haufen neuer Publikationen. Wie man neue Musik findet, steht auch nochmal weiter unten.
Sicherlich ist das nicht immer einfach, da muss man permanent als DJ am Ball bleiben. Aber Youtube und Online-Charts helfen da enorm.
Da den Überblick zu behalten ist nicht einfach, zugegeben! Aber DJs, die immer nur den gleichen Kram der letzten 20 Jahre spielen, ohne auf Neuheiten einzugehen, sind doch eher langweilig und im Grunde durch den oben genannten Latin-Sampler ersetzbar. Bös gesagt: Ein Online-Oldie-Latinradiosender könnte dem Betreiber dann auch das Geld für den DJ sparen.
Neue Chartmusik, so finde ich, trägt zur Qualität und Spannung einer Party bei. Sie bringt die Abwechslung, die vor Einerlei und Langeweile schützt. In Spanien ist sie zum Teil auch ein Grund zu Partys bestimmter DJs zu gehen, da man weiß, dass diese immer auch neue Musik an dem Abend präsentieren.
Dazu kommt im Falle der Remixes, dass Leute, die erstmals auf Partys kommen einen Wiedererkennungseffekt haben. Da waren in der Vergangenheit Stücke wie „Bailando“ oder „Despacito“ und „Con Calma“ für die Salsaszenen Gold wert. Auch populäre Stücke, die den Weg durch Bachataremixe in die Latinszene finden, erleichtern Anfängern den Einstieg.
2. Ein DJ muss ein gutes Rhythmus- und Musikverständnis haben
Ohne dies wird er nie die Zusammenhänge der Tonarten, die Rhythmenwechsel, Interpretationen und die Energie der Musik verstehen. Und mit Vielfalt meine ich nicht nur die unterschiedlichen Stile (siehe weiter unten) innerhalb der Latinmusik (die sich in der Regel an den „klassischen“ Latin-Rhythmen orientieren), sondern auch die Wirkung, die Geschwindigkeiten, Texte und Instrumente haben. Denn diese Wirkung wird man auf der Tanzfläche spüren.
Tempo-, Takt- und Rhythmusgefühl sind das A und O für jeden DJ. Falls jemand der Leser die drei Begriffe übrigens verwechselt oder nicht auseinanderhalten kann, bitte nicht DJ werden!
Die besten DJs sind für mich die, die auch Musiker und Tänzer sind, da für sie das DJ-Pult ein zusätzliches Instrument ist und sie oft intuitiv wissen, wie man es am besten für die tanzende Masse einsetzt.
3. Ein DJ sollte das Mischungsverhältnis (Salsa - Bachata - Cha Cha usw.) variabel halten
Ein gutes Mischungsverhältnis ist wichtig für die Zufriedenheit der Tänzer verschiedener Stile. Jeder hat seine Vorlieben, allen muss man gerecht werden (Allerdings haben Partys auch ein Motto, dass muss dann berücksichtigt werden). Das Verhältnis muss nicht jeden Abend gleich sein. Abwechslung sorgt für Spannung, aber es muss noch berechenbar für die Tänzer sein, sodass man Pausen einplanen kann, Tänze reservieren kann (der nächste Bachata gehört uns, nach der Timba kommt vermutlich ein Mambo… usw.)
4. Salsa ist nicht gleich Salsa - Bachata ist nicht gleich Bachata!
Ein DJ sollte immer die Musikrichtungen kennen, die er auflegt und zwar genau. Gibt es kaum Differenzierungen zwischen den Stilen und wenn die Tänzer und die Zuhörer mehr davon verstehen als der DJ, so ist er nicht gut!
Auskennen in den lateinamerikanischen Stilen und Rhythmen - wichtige Rhythmen:
- Mambo
- Rumba
- Cha Cha Cha
- Merengue (dominkanischer und kolumbianischer!)
- Guajira
- Guaracha
- Bolero
- Danzon
- Son
- Boogaloo / Shingaling
- Son Montuno
- Latin-Jazz / Descarga (= Improvisation)
- Cumbia
- Vallenato
- Despecho
- Champeta (Afrikanische Musik, die in Kolumbien gemacht wird)
- Bomba
- Plena
- evtl. Calipso
- uvm.
5. Auskennen mit Herkunft der Kunden und zu jedem Land auch passende Musik zuordnen können.
Die meisten Gäste einer Latinparty freuen sich sehr, wenn populäre Musik aus ihrer Heimat läuft. Das sind oft gerade die alten Stücke, die Klassiker eines Landes, manchmal auch die bekanntesten Artisten oder textliche Referenzen.
Legt einmal „The Latin Brothers - Las Caleñas Son Como las Flores“ auf und ihr werdet sehen, wie allen Kolumbianern das Herz aufgeht.
6. Ein DJ muss ein gutes Ohr für die Tonqualität seiner Musik haben.
Auch wenn ein Stück so gekauft wurde, so bringt es nichts, dass Stück zu spielen, wenn es furchtbar klingt. Dieses Dilemma besteht übrigens bei sehr alter Musik nur zum Teil (wobei es da auch v.a. von Fania gute neue Remaster gibt). Der alte Sound der Mambos der 70er gehört .
Für DJs ist dies allerdings manchmal auch ein Widerspruch, da sie durch langjährige Tätigkeit, durch die laute Musik, bereits einen Teil ihres Gehörs verloren haben.
7. Ein DJ muss die Tanzfläche und die Musik „fühlen“ können
Das emotionale Erfassen der Musik ist mit dem bewussten Empfinden verbunden. Dazu gehört dann die Empathie für die Tanzfläche. Kann ein DJ die Tanzfläche „lesen“, also empathisch die Stimmung aufnehmen und wenn er das dann durch sein Repertoire an Musik weiter lenken kann, dann ist eine Party für viele Teilnehmer eine geniale Party. Das ist natürlich nicht ganz einfach, deswegen gebt Eurem DJ Feedback und wünscht Euch vielleicht auch Stücke, die Eurer Meinung nach jetzt gut passen würden.
8. Ein DJ muss gute Informationsquellen haben.
Um jenseits des Mainstreams auch mal eine unbekannte „Perle“ zu spielen, braucht man neben viel Hintergrundwissen auch eine gute Vernetzung.
- Itunes, Youtube Music und Spotify liefern vieles, aber nicht alles, was Lateinamerika hergibt. Gerade aktuelle Latin-Playlisten bei Spotify bieten viele Informationen.
- Die Billboard Latin-Charts
- Viele DJs sind in WhatsApp-Gruppen organisiert und tauschen dort Musiktipps aus.
- Viele andere gute Internetseiten, die über neue und alte Musik informieren.
- Auch Youtube schlägt gelegentlich neue Stücke vor. Ich selbst erfahre oft über Youtube von Neuerscheinungen. Die Suche nach Neuheiten (z.B. „Salsa/Bachata August 2020“ bringt z.B. immer viele Mixvideos.
Wikipedia (vor allem die englische und spanische Wikipedia) hat mittlerweile einen Fundus an Informationen zu Stilen und Artisten und die einzelnen Veröffentlichungen (jahresweise geordnet).
9. Aktuelle Trends und lokale Besonderheiten beachten
Als DJ muss man ständig neue Stücke in die Szene „integrieren“ (durch regelmäßiges Spielen, 5-10 mal an aufeinanderfolgenden Abenden), vor allem die Neuerscheinungen der großen bekannten Artisten. Pro Abend sollten aber nicht mehr als ca. 5 dem Publikum unbekannte neue Stücke laufen.
Neben den Neuheiten in der Musik gibt es auch immer wieder Trends, die man Berücksichtigen muss. Waren es bis ca. 2016 der Kizombatrend, so war bis 2018 vor allem viel Timba gefragt. Davor war es viel mehr Mambo und Salsa aus den 70ern.
Bachata hat in den letzten Jahren eine enorme Popularität erlangt und wird mittlerweile auf einigen Partys genauso viel oder mehr als Salsa gespielt.
Regional kann auch Zouk, Merengue, Reggaeton oder Cha Cha gespielt werden. In Amerika ist der West-Coast-Swing ebenfalls vertreten.
10. Der persönliche Stil eines DJs
Lieblingsstücke und der eigene Geschmack des DJ spielen sicher auch eine Rolle am Gelingen einer Party. Der eigene Geschmack des DJ sollte allerdings immer hintenan stehen. Die Party und die Wünsche des Publikums gehen vor.
Dazu kommt das Gespür für die Leute, die gerade da sind, die Location und regionale Besonderheiten. Sind an einem Abend z.B. viele Kolumbianer im Publikum, dann läuft eben das eine oder andere Stück aus Kolumbien mehr als sonst.
Siehe auch meine Liste "Latin-Musiker und ihre Herkunft".
11. Kooperation mit anderen DJs und den unterschiedlichen Veranstaltern
Schon aus finanziellem Interesse müssen DJs möglichst viele Auftritte haben, sodass ein gutes Netzwerk hilfreich ist. Die meisten DJs sind mit anderen DJs verbunden, sodass man sich gegenseitig Auftritte zuschiebt. Ein solches „Backup“ zu haben, ist gerade auch wenn man mal krank ist, sehr wichtig. Zusammenarbeit sollte das A und O eines jeden DJs sein.
12. Jeden Abend für gute Stimmung sorgen
Unterhaltung ist ein hartes Geschäft. Persönliche Gefühle zählen oft wenig bis gar nicht.
Das Publikum möchte sich amüsieren und keinen nicht interagierenden Miesepeter am Mischpult. Sicher haben auch DJs schlechte Tage und persönliche Probleme, aber wie bei jedem Performer müssen die für einige Stunden beiseite geschoben werden, das Publikum interessiert es schlicht nicht. Das Publikum zahlt für einen problemlosen Abend.
Hier sind die anderen Teile der Serie:
Teil 1: Was macht ein DJ?